Sprachen
Sprachen der Texte
Im historischen Greifswald wurde als Erstsprache – wie überall im Norden des deutschen Sprachgebiets – volkssprachig niederdeutsch gesprochen und geschrieben. Hochdeutsch galt als fremde Sprache, die abhängig von Situationen und Kenntnissen verwendet werden konnte (z. B. von Kaufleuten bei Handelskontakten in anderen Gebieten und in weiteren Sprachkontaktsituationen) (Stadt- und Sprachgeschichte Greifswalds).
Im ganzen norddeutschen Raum wurde das Hochdeutsche im 16. Jahrhundert in unterschiedlichen sprachlichen Domänen zu einer Prestigesprache. In einigen Bereichen wurde es daher erst auch und neben der niederdeutschen Erstsprache verwendet, in einigen Bereichen sogar bald ausschließlich anstelle des Niederdeutschen. Es kam dabei zu sprachlichen Interferenzen, zu volkssprachiger Mehrsprachigkeit und zu (zunächst partiellen, später vollständigen) Sprachwechselprozessen (Stadt- und Sprachgeschichte Greifswalds). Sprecherinnen und Sprecher konnten die Sprachwechselprozesse beobachten und haben bisweilen ihre Ansichten und Spracheinstellungen in Texten festgehalten.
Die Sprachgeschichtsforschung
... untersucht historische Sprachwechselprozesse von Niederdeutsch zu Hochdeutsch in Texten als Schreibsprachenwechsel mit vielfältigen Übergangsbereichen (vgl. Peters 2015: 25ff). Die Prozesse umfassen aber nicht nur die in Texten sichtbare Schreibung und – überwiegend als Voraussetzung – die Lautung der Wörter mit Konsonanten und Vokalen (z. B. niederdeutsch: dat Hus, hochdeutsch: das Haus), sondern auch weitere sprachsystematische Ebenen wie die Wortbildung (z. B. niederdeutsch: vertellen, hochdeutsch: erzählen), die Flexion (z. B. niederdeutsch: wi maket, hochdeutsch: wir machen) oder den Satzbau (z. B. niederdeutsch: da horet ... to, hochdeutsch: dazu gehört ...).
Für die deutsche Sprachgeschichte ist diese Entwicklung im gesamten Norden des deutschen Sprachgebiets eine der zentralen Entwicklungen im 16. Jahrhundert: Es ist „die größte Sprachumstellung unserer Geschichte“ (Besch 1995: 242) und ein "entscheidender Schritt zur Entstehung einer deutschen Standardsprache” (Mihm 2022: 16).
Für „Historische Stadtsprachen vor Ort”
... klassifizieren wir die Sprache der ausgewählten Texte. Wir unterscheiden dabei – unabhängig von genauer kategorisierenden Sprachstufenbeschreibungen wie z. B. mittelniederdeutsch, neuniederdeutsch, frühneuhochdeutsch, norddeutsch – aus arbeispraktischen Gründen lediglich niederdeutsch und hochdeutsch. Erkannte sprachliche Interferenzphänomene (und auch Verdachtsmomente) zeichnen wir als Sprachmischung aus, dabei geben wir jeweils die Sprache an, die unserer Meinung nach überwiegt.
Genauere Textkenntnis führt zu genaueren Zuordnungen; die Daten werden daher fortlaufend erweitert und korrigiert. Für Hinweise sind wir dankbar.
Zitierte Literatur
Besch, W. (1995). Sprachprobleme in Münster im Jahre 1533. In J. Cajot, L. Kremer & H. Niebaum (Hrsg.), Lingua Theodisca. Beiträge zur Sprach- und Literaturwissenschaft. Jan Goossens zum 65. Geburtstag (S. 241–253). Münster – Hamburg: Lit Verlag.
Glück, H., & Rödel, M. (Hrsg.). (2016). Metzler-Lexikon Sprache (5. Aufl.). Stuttgart: Metzler.
Mihm, A. (2022). Sprachenvielfalt und kontaktbedingter Wandel. Zum Erkenntniswert der Greifswalder Sprachgeschichte. In M. Schulz & L. Kütt (Hrsg.), Sprachgeschichte vor Ort. Stadtsprachenforschung im Spannungsfeld zwischen Ortspunkt und Sprachraum (S. 1–34) (Germanistische Bibliothek, Bd. 74). Heidelberg: Winter.
Peters, R. (2015). Zur Sprachgeschichte des norddeutschen Raumes. Jahrbuch für Germanistische Sprachgeschichte, 6, 18–36. Berlin – Boston: de Gruyter.
Sprachen