Was ist Stadtsprache?
Was ist Stadtsprache und was sind Stadtsprachen?
„Die sprachhistorisch orientierte Stadtsprachenforschung geht traditionell – und verstärkt seit der Gründung des Internationalen Arbeitskreises Historische Stadtsprachenforschung (http://stadtsprachen.germanistik.uniwuerzburg.de) in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts – von einer weiten Definition historischer Stadtsprache aus, die als ein „Ensemble aller zu einer Zeit aktiv verwendeten und miteinander verwandten Varietäten” (Hoffmann / Mattheier 1985: 1838) gesehen wird und „materialorientiert[]” in „lokalen Fallstudien” (die sodann „untereinander „vernetzt” werden” müssen) (Maas / Mattheier 1987: 230) zu untersuchen ist.
Historische Städte werden damit als differenzierte und zu differenzierende sprachliche Handlungs-Räume verstanden. Städtischen Akteuren wird die Verfügbarkeit und die Nutzung unterschiedlicher Register, Varietäten und Sprachen zugesprochen (Man vergleiche dazu auch das vielzitierte Kreismodell D. Cherubims zu Braunschweig mit dem Eintrag der ‚Spezialsprachen‘: Cherubim 1987; das Modell wird (unter anderem) bei Hünecke/Jakob 2010: 289 und Mihm 2001: 264
aufgegriffen).” (Schulz 2021: 182).
„Wir fassen im Wiki-System den Gegenstand mit Walther Hoffmann und Klaus Mattheier weit auf und gehen davon aus, dass alles, »was in der Stadt zu einer bestimmten Zeit sprachlich präsent« gewesen ist, »den Sprachgebrauch oder besser die Sprachpraxis der Stadt« (Hoffmann/Mattheier 1985: 1838) abbildet. Die Stadt stellt insofern "einen Faktor [dar] [...], der "in verschiedenen Hinsichten zur Differenzierung formeller Sprachformen beiträgt (Klein 2020: 19). Man kann davon ausgehen, dass das auch historischen Sprachteilhaberinnen und Sprachteilhabern bewusst war, denn von ihnen konnten "einzelne Städte differenziell als kommunikative Umgebungen gesehen werden, in denen man sprachlich spezifisch agieren musste, wenn man die formellen Üblichkeiten nicht verfehlen wollte" (Klein 2020: 19f.).
Für eine solche Perspektive nehmen wir den Ortspunkt Greifswald im stadtsprachgeschichtlich weitgehend unerforschten Nordosten des Sprachgebiets – und damit "Handschriften, Drucke und Inschriften bis etwa 1700 in den Blick.” (Schulz 2023: 22).
Für Historische Stadtsprachen vor Ort heißt das:
Mit dem Gegenstand Stadtsprache meinen wir das Varietätengefüge von Stadtsprachen im Kontext einer historischen Stadt. Dazu nehmen wir die in Handschriften, Drucken und Inschriften nachweisbare Produktion und auch die nachweisbare Rezeption von Texten in der Stadt vom 14. – 17. Jahrhundert in den Blick.
Produktion in der Stadt umfasst Texte, die dort produziert (also geschrieben, gedruckt, gemeißelt ...) wurden. Solche Texte wurden zu einem großen Teil auch in der Stadt rezipiert.
Rezeption in der Stadt umfasst Texte, die außerhalb der Stadt produziert (also geschrieben, gedruckt) wurden, aber im Untersuchungszeitraum nachweislich dorthin gelangt sind und dort rezipiert wurden.
Die historische Stadt wird damit nicht künstlich als abgeschlossene Einheit modelliert, sondern als historische Größe mit zahlreichen interpersonalen, interinstitutionellen und auch textuellen Außenkontakten verstanden, die sich im stadtsprachlich-volksprachigen Textkosmos spiegeln.
„Uns ist natürlich klar, dass selbst dieser für sich bereits riesige Bereich grundsätzlich nur einen Ausschnitt darstellen kann: Für ein runderes Bild fehlen natürlich ganz erhebliche Bereiche der Mehrsprachigkeit in einer historischen Stadt über das Deutsche hinaus, nämlich lateinische Texte sowie speziell in unserem Fall für die Geschichte der Region auch schwedische Texte.” (Schulz 2023: 22).
Für solche Bereiche suchen wir Kooperationspartner.
Literatur
Cherubim, Dieter (1987). Mehrsprachigkeit in der Stadt der frühen Neuzeit am Beispiel Braunschweigs und Herrmann Botes. In D. Schöttker & W. Wunderlich (Hrsg.), Hermen Bote. Braunschweiger Autor zwischen Mittelalter und Neuzeit (S. 143–157). Wiesbaden.
Hoffmann, Walter, & Mattheier, Klaus J. (1985). Stadt und Sprache in der neueren deutschen Sprachgeschichte: Eine Pilotstudie am Beispiel von Köln. In Sprachgeschichte. Ein Handbuch (Bd. 1, S. 1837–1864).
Hünecke, Rainer, & Jakob, Karlheinz. (2010). Die Entfaltung der deutschsprachigen Schriftlichkeit in der Stadt des Spätmittelalters und in der frühen Neuzeit. Ein Projektentwurf. In C. Moulin, F. Ravida & N. Ruge (Hrsg.), Sprache in der Stadt. Akten der 25. Tagung des Internationalen Arbeitskreises Historische Stadtsprachenforschung. Luxemburg, 11.–13. Oktober 2007 (S. 282–296). Heidelberg.
Klein, Wolf Peter (2020). Der Vatriationsfaktor "Stadt" in den Formular- und Rhetorikbüchern der frühen Neuzeit. Einige Beobachtungen und Interpretationen. Sprachgeschichte 45 (1), S. 7–23.
Maas, Utz, & Mattheier, Klaus J. (1987). Zur Erforschung historischer Stadtsprachen. Zeitschrift für deutsche Philologie 106, 227–246.
Mihm, Arend (2001). Oberschichtliche Mehrsprachigkeit und "Language Shift" in den mitteleuropäischen Städten des 16. Jahrhunderts. Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 68, 257–287.
Schulz, Matthias (2021). Fachsprachen in historischen Stadtsprachen (?). Das Beispiel Greifswald. In W. P. Klein & S. Staffeldt (Hrsg.), Zur Geschichte der Fach- und Wissenschaftssprachen. Identität, Differenz, Transfer (S. 181–196). Würzburg.
Schulz, Matthias (2023). Stadtsprachgeschichte und historische Stadtsprachenforschung. Muttersprache 133 (1–2), 12–31.