Schreibanlässe

Aus Stadtsprachen
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Schreibanlässe

Sprache und (weiteres) soziales Handeln stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang und überlapppen sich, denn Personen bedienen sich ihrer Sprache, um damit etwas zu erreichen. Für jeden Text gibt es mindestens einen Schreibanlass. Es ist der konkrete historische Sachverhalt, der hinter dem Einzeltext steht und ihn überhaupt erst motiviert hat. Der konkrete Schreibanlass für die Niederschrift eines Texte z. B. am dritten Donnerstag im März des Jahres 1563 kann etwa die Erhebung von Geldforderungen mit der Erstellung einer Rechnung sein. Weitere konkrete Schreibanlässe sind für Personen z. B. der Wille zur Markierung eines erworbenen Eigentums, die Absicht der (rechtssicheren) Fixierung einer Absprache oder die dokumentierende Festlegung eines Verfahrens. Auch konkrete Lebensumstände (wie etwa Internierung, der Tod eines Angehörigen oder der Empfang von Personengruppen) können natürlich konkrete Schreibanlässe (wie z. B. Anzeige eines Todesfalls, Begrüßung von Personengruppen) darstellen.


In der Sprachwissenschaft

... werden Schreibanlässe (unter anderem in der Soziolinguistik und der Soziopragmatik) als Ursache der Textproduktion und der sprachlichen Variation genau untersucht und ausgewertet, denn die Sprache kann sich je nach Schreibanlass unterscheiden, z. B. in der Wortwahl, der Wahl der Formulierungen und der sprachlichen Handlungsmuster (Lüdtke 2019: 18; Brommer 2018: 50). Da Sprache in der Regel usuellen Vertextungsmustern auf unterschiedlichen Ebenen (wie der Wortwahl oder des Satzbaus) folgt, werden Schreibanlässe oft abstrahierend zu Typen zusammengefasst.


Die Sprachgeschichtsforschung

... nutzt die Frage nach Schreibanlässen unter anderem für die Untersuchung historischer Personengruppen und ihres Sprachverhaltens sowie für die Untersuchung historischer Textsorten, sprachlicher Variabilität und Innovation in Texten (vgl. Elspaß 2005, Schiegg 2022), für die Analyse spezifischer textueller Strukturen (vgl. Lindner 2018) und für die Rekonstruktion von historischem Sprachhandlungswissen. Auch dabei werden konkrete Schreibanlass-Einzelfälle zu Typen zusammengefasst.


Für „Historische Stadtsprachen vor Ort”

... erheben wir für die ausgewählten Texte möglichst genau die historischen Schreibanlässe. Wir dokumentieren die historischen Einzelfälle soweit möglich nach Ort und Zeitpunkt der Vertextung. Zusätzlich ordnen wir die einzelnen Texte in aller Vorsicht Typen historischer Schreibanlässe zu. Wir fragen dazu:

Welcher generalisierbare Sachverhalt hinter dem jeweiligen historischen Einzelfall motiviert die Abfassung eines Textes, mit dem dann z. B. etwas festgestellt, behauptet, bewirkt oder geregelt werden soll?

Je nach Komplexität des Textes bieten wir dazu mehrere Substantive für Schreibhanlässe pro Text an. Sie sind in der Regel abstrahierend formuliert; der Abstraktionsgrad ist (gegenstandsbedingt) variabel. Die Reihenfolge der Einträge ist nicht hierarchisch. Überarbeitungen sind geplant.

Genauere Textkenntnis führt zu genaueren Zuordnungen; die Daten werden daher fortlaufend erweitert und korrigiert. Für Hinweise sind wir dankbar.



Zitierte Literatur

Brommer, S. (2018). Sprachliche Muster. Berlin – Boston: de Gruyter.

Elspaß, S. (2005). Sprachgeschichte von unten (RGL, Bd. 263). Berlin – Boston: de Gruyter.

Lindner, B. (2018). Medizinische Gutachten des 17. und 18. Jahrhunderts. Berlin – Boston: de Gruyter.

Lüdtke, J. (2019). Romanistische Linguistik. Berlin – Boston: de Gruyter.

Schiegg, M. (2022). Flexible Schreiber in der Sprachgeschichte: Intraindividuelle Variation in Patientenbriefen (1850–1936) (Germanistische Bibliothek, Bd. 75). Heidelberg: Winter.