Ortspunkte in Greifswald als Schreiborte
Städte sind – in überlieferungsgeschichtlicher Perspektive – Text-Räume (Schulz 2021: 183). Sie verfügen über Orte der Textproduktion, der Textaufbewahrung und der Textrezeption. Solche Orte können beispielsweise Kanzleien, Klöster mit Skriptorien und Buchsammlungen, Kirchenbibliotheken, Offizinen, Universitäten oder auch Kontore, Privathaushalte und Gasthäuser sein. Der Ortspunkt Greifswald zeichnet sich „durch die Vielzahl der historischen Orte der Textproduktion und der Akteure der Schriftlichkeit (Rat, Kirchen, Klöster, die herzogliche Kanzlei, die Universität, Privatpersonen) und durch die gute Überlieferungslage (u. a. in Stadtarchiv, Universitätsarchiv, Landesarchiv und Kirchenbibliothek)” (Schulz 2023: 26) in besonderer Weise aus.
Klöster und Kirchen
Im „Grauen Kloster”, dem Franziskanerkloster, wurden seit der Gründung „handschriftliche Bücher geschrieben und benutzt” (Geiß 2009: XXXII). Es sind Einbandmakulaturen des 13. und 14. Jahrhunderts überliefert, die ältesten überlieferten Codices stammen aber erst aus dem Ende des 14. Jahrhunderts. Für das frühe 16. Jahrhundert wird die franziskanische Bibliothek auf etwa 400 Bände geschätzt – es war „die bedeutendste Büchersammlung innerhalb der Stadtmauern” (Geiß 2009: XXXIII). Es gibt in der Klosterbibliothek in Greifswald geschriebene Codices und von außen nach Greifswald gelangte Bestände, unter anderem aus Lübeck, Braunschweig, Magdeburg und Nürnberg (Geiß 2009: XXXV) .
Die Bibliothek des „Schwarzen Klosters”, des Dominikanerklosters, war deutlich kleiner als die des Franziskanerklosters. Die ältesten überlieferten Codices stammen aus dem ersten Viertel des 15. Jahrhunderts. Bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts umfasste der Bestand der Bibliothek etwa 200 Codices (Geiß 2009: XXXVII).
St. Marien und St. Jakobi verfügten über vorreformatorische Kirchenbibliotheken. Etwa 40 Codices aus St. Marien sind erhalten; von den Beständen aus St. Jakobi verlieren sich die Spuren im frühen 17. Jahrhundert. Vom Vorhandensein von Buchbeständen in St. Nikolai vor der Reformation ist auszugehen, es gibt dazu aber keine Nachweise (Geiß 2009: XLII).
„Für die Zeit unmittelbar vor der Reformation kann man von etwa 400 Bänden im Franziskanerkloster, 200 im Dominikanerkloster sowie 40 bis 50 Codices in der Kirchenbibliothek von St. Marien ausgehen (Geiß 2011: 217)” (Schulz 2015: 178).
Bibliothek des Geistlichen Ministeriums
Im Sinne der Bugenhagenschen Kirchenordnung (1535) wurde auch in Greifswald nach der Auflösung der Klöster der Buchbestand zentralisiert. Die "Bibliothek des Geistlichen Ministeriums" befindet sich in St. Nikolai. „Das nur in einer Abschrift des 18. Jahrhunderts überlieferte Verzeichnis von 1599 verzeichnet 296 Bände der Franziskanerbibliothek, nämlich Handschriften und vorreformatorische Drucke" (Geiß 2009: XXXI). Das »Inventarium« von 1602 nennt 241 Druck- und 44 Handschriftenbände aus dem Franziskanerkloster und 178 Bände aus dem Dominikanerkloster (Wilhelmi u. a. 1997: 11) und der Marienkirche. Insgesamt sind am Beginn des 17. Jahrhunderts »mindestens 380 Druckbände und 93 Handschriften« zusammengestellt und inventarisiert worden (Lühder 1908: 33; vgl. auch Fabian 2003). Das ist der erhaltene Bestand der klösterlichen Bibliotheken und der Marienkirchenbibliothek in der Stadt. Die Bibliothek wurde nun aber nicht einfach museal konserviert, die Klosterbände bildeten vielmehr im Sinne der Kirchenordnungen den Grundstock einer frühneuzeitlichen protestantischen Spezialbibliothek im Aufbau. Das Inventarium von 1602 zeigt Zukäufe von Beginn an. Gerade in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts wurde massiv ergänzt und modernisiert” (Schulz 2015: 179).
Universität Bereits unmittelbar nach der Universitätsgründung wurden in den Fakultäten eigene Büchersammlungen angelegt.
Buchdruck
Der Buchdruck setzt in Greifswald 1581/1582 ein: Der zuvor in Rostock tätige Drucker Augustin Ferber d. Ä. wurde als Universitätsdrucker bestellt. Er druckte noch in diesem Jahr volkssprachig (vgl. Buchdruck in Greifswald: Der Buchdruck in Greifswald).
Literatur:
Geiß, J. (2009). Mittelalterliche Handschriften in Greifswalder Bibliotheken: Verzeichnis der Bestände der Bibliothek des Geistlichen Ministeriums (Dombibliothek St. Nikolai), der Universitätsbibliothek und des Universitätsarchivs. Wiesbaden.
Geiß, J. (2011). Buchhandel, Bettelorden, Büchersammlungen: Erkundungen zur Bibliothekslandschaft im spätmittelalterlichen Greifswald. Quaerendo, 41, 214–224.
Herold, J., & Magin, C. (2009). Die Inschriften der Stadt Greifswald (Die Deutschen Inschriften, Bd. 77). Wiesbaden.
Schulz, M. (2015). Stadtsprachen in historischen Bibliotheksbeständen: Stadtsprachliche Varietäten und Schreibsprachwechsel in Greifswald im Spiegel der Bibliothek des Geistlichen Ministeriums. In A. Karin, S. Ulivi & C. Wich-Reif (Hrsg.), Regiolekt, Funktiolekt, Idiolekt: Die Stadt und ihre Sprachen (Sprache in kulturellen Kontexten, Bd. 1, S. 173–192). Göttingen.
Schulz, M. (2023). Stadtsprachgeschichte und historische Stadtsprachenforschung. Muttersprache, 133(1–2), 12–31.